A review by missbookiverse
The Vespertine by Saundra Mitchell

2.0

Inhalt
Die Geschichte spielt Ende des 19. Jahrhunderts und erzählt von der jungen Amelia, die über den Sommer ihre Cousine in Baltimore besucht. Dort soll sie auf das Leben als Frau vorbereitet werden und schon mal nach einem passenden Gemahl Ausschau halten. Den findet sie auch ziemlich schnell, er entspricht nur leider nicht ihrem Stand und den beiden steht eine unmögliche Zukunft bevor. Dazu kommt, dass Amelia plötzlich entdeckt, dass sie bei Sonnenuntergang kleine Zukunftsvisionen heraufbeschwören kann. Zunächst machen ihre Cousine und sie sich einen Spaß daraus anderen Leuten die Zukunft vorauszusagen, aber bald sieht Amelia auch verstörende Bilder in ihren Visionen.

Lang und breit
The Vespertine hätte so gut werden können! Ich meine „Historical + Paranormal + YA“, das schreit doch Gemma Doyle, war aber leider nicht mal halb so gut.

Protagonistin Amelia und die Familie, bei der sie den Sommer verbringt (ihre Cousine Zora und deren Eltern Mr. und Mrs. Stewart) sind Saundra Mitchell super gelungen. Die Familie Stewart hat eine einladende Wärme ausgestrahlt und die Freundschaft zwischen Amelia und Zora hat genau die richtige Mischung aus Loyalität und Biss gehabt.

Das Buch beginnt und endet im Herbst 1889. Der große Mittelteil spielt einige Monate früher und berichtet rückblickend von Amelias Sommer in Baltimore. Indem man eigentlich mit dem Ende anfängt, werden eine Menge Frage aufgeworfen, die neugierig auf die Vergangenheit machen.

Den Schreibstil einzuordnen ist schwierig. Einerseits liest er sich sehr leicht und schnell, andererseits bin ich über unzählige Stellen gestolpert. Ganz oft ist etwas passiert und ich musste verwirrt ein paar Zeilen zurückspringen, weil ich nicht nachvollziehen konnte wie es dazu gekommen war. Mehrfach hab ich auch einfach nicht verstanden, worum es gerade geht. Das mag zum Teil daran liegen, dass mein Wissen über die viktorianische Zeit nicht gerade groß ist, zum anderen Teil schiebe ich das definitiv der Autorin in die Schuhe, die viele Szenen einfach zu schwammig und sparsam beschrieben hat.

Leider musste ich immer wieder fragend die Augenbrauen zusammenziehen, wenn es um Amelias Verhalten ging. Als sie entdeckt, dass sie zur Abendstunde in die Zukunft blicken kann, stellt sie das zum Beispiel nie in Frage. Sie ist weder sonderlich überrascht, noch hat sie große Angst. Wahrscheinlich konnte man im 19. Jahrhundert solche übernatürlichen Erlebnisse leichter hinnehmen, aber ein bisschen mehr Wissensdrang hätte ich mir schon gewünscht. Amelia lernt zudem rasend schnell mit ihrer Gabe umzugehen, sie erlebt nie einen Misserfolg – langweilig.
Was ihre Gefühle zu Nathaniel angeht, befindet sich Amelia in einem Wechselbad der Gefühle. Das ist verständlich, da Nathaniel sich weit unter ihrem eigenen Stand befindet, sie aber trotzdem fasziniert von ihm ist. Ich fand es ebenso nachvollziehbar, dass sie sauer auf ihn ist, als er sie zu versetzen scheint, aber als sie danach wieder aufeinander treffen, beschimpft sie ihn plötzlich als Monster (er hat nämlich auch eine besondere Gabe) und ist aus unerklärlichen Gründen sauer auf ihn, allerdings wieder nur für wenige Minuten. Da hatte wohl jemand Doppelbesuch von der Hormonfee.

Wo ich schon bei Nathaniel bin. Der Junge ist leider so flach wie die Leinwände, auf die er seine Bilder malt. Mysteriös und interessant, weil er ein Künstler ist, aber sonst wird dem Leser kaum etwas geboten. Es gibt nicht mal sonderlich viele Szenen zwischen den beiden, die meisten brechen viel zu schnell ab. Trotzdem verlieben sie sich natürlich vom ersten Augenblick an und es dauert nicht lange bis Amelia ihm sogar blind vertraut (diese Szene, wo er sie auffordert zu… ARGH!)

Amelias Cousine Zora weiß von Amelias Gabe und kann es nicht lassen ihren Freundinnen davon zu berichten. Schnell weiß halb Baltimore von Amelias Können und möchte sich in die Zukunft blicken lassen. Zora und Amelia betreiben ihr kleines Geschäft dann problemlos. Zoras Eltern empfinden das als alberne Spielerei und kümmern sich nicht weiter darum. Das kam mir komisch vor. Sonst sind die Stewarts nämlich sehr bedacht auf den Ruf der jungen Mädchen. Sie dürfen sich wie zu dieser Zeit üblich nicht allein mit Männern treffen, aber wenn sie fröhlich Hausbesuche machen, um fremden Menschen die Zukunft vorauszusagen, schert das niemanden? Inkonsequent.

Insgesamt fehlt es dem Roman einfach an Tiefe. Alles wird nur angerissen und nichts so richtig ausgeleuchtet. Dazu plätschert die Story einfach dahin. Man wartet darauf, dass endlich etwas Schlimmes passiert (muss ja, wurde doch im ersten Kapitel mehr oder weniger angekündigt), aber die Autorin hat sich die Knalleffekte alle für die letzten 30 Seiten aufgehoben. Da geht’s richtig los und eine Enthüllung jagt die nächste.
SpoilerWas ich übrigens zu übertrieben fand, war dass Nathaniels Tod verkündet wird. Mir war ja sogar irgendwie klar, dass das nicht stimmen kann und nur als Schocker ausgenutzt wurde.

Ob ich die Fortsetzung (bzw. „companion novel“, so die Ankündigung) [b:The Springsweet|10115555|The Springsweet (The Vespertine, #2)|Saundra Mitchell|http://www.goodreads.com/images/nocover-60x80.jpg|15013096] lesen werde, entscheide ich dann nach Klappentext.

Kurz und knapp
Ein angenehm lesbarer Roman mit einladenden Charakteren. Sowohl die Romantik als auch die übernatürliche Ebene bleiben leider lauwarm und so richtig knallt es erst auf den letzten 30 Seiten. Ein Buch, dass man vorüberziehen lassen kann.